10.30
Führung der Reinigungsgesell-
schaft (Künstlergruppe, Dresden) zum vietnamesischen
Blumengarten in der Dresdner Johannstadt / Gespräch
mit den BetreiberInnen
(Text,
Trümmerfrauen)
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Die Männer sind in Anzügen gekommen, die
Frauen in langen Kleidern. Im Garten wachsen Dahlien über
Dahlien, Kopfsalat und Minze, Kürbisse und Pfirsiche. Die
Kinder hätten alle Pfirsiche gegessen, sagt der Mann, der
mich herumführt. Von ihm erfahre ich, wie in Vietnam Ableger
gezogen werden: Ein schöner Ast eines schönen Baumes
wird angeritzt. Um die angeritzte Stelle wird ein Verband von
Erde gelegt. Nach einem Jahr haben sich Wurzeln gebildet. Wir
lernen auch etwas über die vietnamesische Taktik bei der
Kompostierung: Die kompostierbaren Abfälle werden zwischen
den Pflanzen eingescharrt. Unsere Sammelhaufen findet man wenig
ansehnlich.

Auf Initiative der Reinigungsgesellschaft besuchen wir
den öffentlichen Garten, den ein vietnamesisches Frauenkollektiv
auf einer ungenutzten Fläche voller Bauschutt in der Dresdner
Johannstadt angelegt hat. Reden werden gehalten. Die Rede der
Gastgeberin Thien Hoa, genannt Prinzessin, beginnt so: „Sehr
geehrte Gäste, sehr geehrte internationale Künstler
und Wissenschaftler.“ Das Ziel der vietnamesischen Gemeinschaft
sei es, den Gemeinschaftsgeist der anderen zu wecken und zu fördern.
Den mangelnden Optimismus in Deutschland könne sie nicht
verstehen. Ein großartiges Essen ist vorbereitet und wir
fühlen uns sehr beschenkt. Der Bürgerpolizist erklärt
mir die Bedeutung der hellen Tücher, die auf dem Boden ausgelegt
sind: Die Tücher verkörperten die Wolken, denn nach
der vietnamesischen Philosophie sei es angeraten, die Welt nicht
von einem Standpunkt aus zu betrachten, sondern zum Beispiel auch
aus der Perspektive der Wolken. Die Reinigungsgesellschaft und
Herr Ewers, der ehemalige Ortsamtsleiter der Johannstadt und große
Förderer unserer vietnamesischen Freunde, besprechen
mit uns eine eventuelle Fassadengestaltung für ein Haus,
das an den Garten grenzt. Herr Ewers ist begeistert von einem
Beipiel aus Kanada, einer Serie von Fassaden zu dem Thema „Geschichte
und Entwicklung Kanadas“. Die vietnamesischen Gastgeber
fotografieren am Teich und waschen ab.
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15.00
Informelle Ökonomien
Luchezar Boyadjiev (Künstler/Visual Seminar, Sofia):
Kapitalismus ohne Bourgeousie...?
(Vortragstext)
und Ingo Vetter (Künstler, Berlin):
Kartoffeläckerstädte
(Vortragstext)
19.00
Informelle Ökonomien
Regina Bittner (Kulturwissen- schaftlerin, Bauhaus Dessau):
Lumpenkapitalismus oder die Rückkehr des Marktes?
(Vortragstext)
moderiert von Torsten Birne (Co-Kurator Wildes Kapital)
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Lieber Luchezar Boyadjiev, lieber
Ingo Vetter, liebe Regina Bittner, die Ermattung, die mich in Dresden
nach dem Gartenbesuch ergriffen hatte, kehrt in der Erinnerung an
gleicher Stelle wieder. Ich bitte zu entschuldigen, dass ich eure
Beitrage nicht angemessen beschreibe. Ich erinnere mich an Stefan
und seine Brüder und daran, dass die beworbenen Brüder
als Heiratskandidaten für die Töchter des Bürgermeisters
von Sofia ins Gespräch gekommen seien. Außerdem an die
Heuernte in der Innenstadt von Detroit und die unerhörte Aussage,
60% des russischen Lebensmittelbedarfes würden durch städtische
Landwirtschaft gedeckt. In Thomas´ Notizen lese ich: „Sollen
sie doch die Innenstädte zupflastern. Die Innenstadt ist schließlich
nicht mein Hof.“ Dann kamen die türkischen Tuchhändlerinnen,
die ihren reisenden russischen Kolleginnen beibringen, wie business
geht. Bretter zum Balancieren über dem Matsch. Die sozialistische
Stadt als „gebaute Realisierung kollektiver Hoffnungen“.
Der Kapitalismus als naturhafter Prozess mit seinen Haifischbecken
kam zurück. Dirk hat gesagt, der Fahrstuhlführer habe
nun genug und sei am Rande seiner Kapazitäten.
Im Dürüm Kebab Haus essen wir uns satt. Es wird festgestellt,
dass der Kellner Bulgare ist.
Den nächtlichen Vortrag unter der Discokugel im Hotel Odessa
verpasse ich leider. Man sagt, es sei geflüstert worden.
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